Chrónosurficie
„Surface“, abgeleitet vom lateinischen Wort superficies, zusammengesetzt aus super- und facies, was „Gesicht“ bedeutet. Oberflächen werden per Definition als die Haut oder äußere Hülle eines greifbaren Objekts beschrieben.
In der Geologie wird Materie, insbesondere mineralische Aggregate, nicht als Substantiv, sondern als Verb betrachtet: Sie führt dynamische Prozesse aus. Sie wird daher als eine „greifbare Manifestation von Prozessen“ definiert, wie etwa ein Vulkanausbruch, das Wachstum eines Korallenriffs oder das Aufsteigen eines Gebirges, wie von der Geologin Professorin Marcia Bjornerud in ihrem Buch Timefulness (2018) formuliert.
Als Akt der Versöhnung mit der Natur und als Reaktion auf territoriale Veränderungen in der heutigen geologischen Epoche, dem Anthropozän, zeichnet Martina Alice Tolotti die evolutionäre Geschichte der Substanz der Erde nach. Ihre Kamera verwandelt sich in ein narratives Werkzeug, das imaginäre Szenarien konstruiert und das Ergebnis zahlreicher Zyklen von Geburt und Auslöschung enthüllt.
Das Projekt ist in vier Kapitel unterteilt: Scales, Mother of Pearl, Mineral Aggregates, Magmi und Gold Rutile.
Ausgehend von der Prämisse, dass Materie sich ständig weiterentwickelt, hat das Bewusstsein für diesen fortlaufenden Wandel zu einer zunehmenden Sensibilität geführt. Mit der Zeit konnte sich die Künstlerin vorstellen, wie sich die Präsenz früherer Leben in den Zellen des eigenen Körpers anfühlen könnte.
Diese Zellen waren einst tierische Zellen, Gesteinsfragmente oder Pflanzen, alle Teil eines endlosen Zyklus der Verwandlung. Dieses Verständnis, das ich durch die Linse meiner Kamera eingefangen habe, findet seinen Ausdruck im Projekt Chrónosurficies. Es verkörpert die evolutionären Spuren auf der Oberfläche der Erde und dokumentiert greifbare Überreste von Prozessen, die Millionen von Jahren umfassen.
Dieses Projekt weckt Bewusstsein und möchte eine neue Aufmerksamkeit für die Umwelt fördern, eine die auf Respekt basiert. Wenn wir verstehen, dass wir Teil eines kontinuierlichen und miteinander verbundenen Zyklus sind, können wir mehr Demut gegenüber der Natur entwickeln. Die Oberflächen, denen wir begegnen, sollten nicht nur als Objekte gesehen werden, sondern als Zeichen lebenslanger Prozesse.
Diese Sichtweise kann helfen, das menschliche Ego von Herrschaft hin zur Fürsorge zu verschieben, und so eine harmonischere Beziehung zum Planeten zu fördern. Wenn wir unser gemeinsames Wesen mit allen Lebewesen und Elementen erkennen, sind wir eher geneigt, die Umwelt zu schützen und zu bewahren, statt sie auszubeuten.